Mies-van-der-Rohe Preis 2011, Nominierung
mit Priebernig "P" ZTgmbh, Müller + Klinger, FCP ZT-GmbH
Klinikum Klagenfurt am Wörthersee – Das Spital als Parkhotel
Architektur Aktuell n° 366, p 106, September 2010
Texte Matthias Boeckl
Mit Krankenhausbauten der XL-Klasse hat Österreichs Architekturbetrieb seit dem Wiener AKH gemischte Erfahrungen. In den vergangenen 20 Jahren haben jedoch mittelgroße Projekte viel Terrain gutgemacht. Das neue Landeskrankenhaus in Klagenfurt beweist, dass sich nun selbst die medizinische Großtechnik nicht mehr den überall sonst eingeforderten sozialen und ästhetischen Planungskriterien entziehen kann.
Nur der Wettbewerb bringt’s
Die Planung von Großkrankenhäusern steht in Österreich oft unter keinem guten Stern. Die Komplexität der Aufgabe steht meist überforderten Lokalpolitikern und auf diesem Gebiet wenig erfahrenen Planern gegenüber. Gemeinsam mit den enormen Errichtungs- und Betriebskosten, die Neubauten für mehrere hundert Betten erfordern, ist damit der wirtschaftlich/politische Skandal meist schon vorprogrammiert. Erstaunlicherweise lief es just in Kärnten anders. Hätte man aufgrund des dort zuletzt üblichen, betont leichtlebigen und oft waghalsigen Managementstils öffentlicher Angelegenheiten erwartet, dass hier ein besonders riskantes Projekt entsteht, trifft genau das Gegenteil zu. Die großformatige Erweiterung des zentralen und in weitem Umkreis einzigen Spitals im Herzen Kärntens ist städtebaulich, medizinisch, architektonisch und sozial besonders gelungen. Wie kam es dazu? Die Vorzeichen standen zunächst nicht allzu günstig. Lokale Klüngel hatten – wie so oft bei großen öffentlichen Projekten – schon ein passendes „Vorprojekt“ parat, das als Perlenketten-Typus angelegt war. Die nicht nur in Klagenfurt verbreiteten Bedenken gegenüber großen Kubaturen (die angeblich wirtschaftlich günstiger sind als kleinere Einheiten) in einer ausgesprochen kleinteilig strukturierten Stadt hatte zu dieser Aneinanderreihung einzelner Pavillons geführt. Nach diversen politischen Rangeleien im Hintergrund fiel aber dann doch eine grundvernünftige Entscheidung. Man veranstaltete einen EU-weit offenen, zweistufigen Wettbewerb und setzte eine qualifizierte Jury ein, in der die Architekten nicht nur als Feigenblatt dienten: Peter Lorenz, Alfred Berger und Hans Obermoser sind allesamt renommierte Schwergewichte der heimischen Bauszene. Und auch die Teilnehmer am Wettbewerb waren alles andere als Glücksritter. Das angesehene Wiener Büro Fritsch, Chiari und Partner (FCP), das in seiner Selbstdarstellung besonderen Wert auf die „optimale Unterstützung unseres Auftraggebers“ und auf „Dienstleistungen in den Bereichen Planung, Statisch-konstruktive Planung, Projektsteuerung, Begleitende Kontrolle, Statisch-konstruktive Prüfung, Generalplanung und Forschung“ legt, lud für seine Bewerbung den überaus erfolgreichen austrofranzösischen Architekten Dietmar Feichtinger, die erfahrenen Spitalsplaner Müller & Klinger (Richard Klinger gründete später gemeinsam mit zwei Partnern das Büro Architects Collective) sowie Heinz Priebernig zur Planungsgemeinschaft ein. Man kannte sich von der bewährten Zusammenarbeit beim schönen Projekt der Donau-Universität in Krems beziehungsweise von gemeinsam abgewickelten Krankenhausprojekten.
Intelligentes Layout
Neben den technischen Kriterien gab in der zweiten Stufe des Wettbewerbs letztlich das intelligente Layout der Kubaturen den Ausschlag. Dietmar Feichtinger wollte angesichts des enormen Raumprogramms und der kleinteiligen Umgebung des Krankenhausareals seinen Entwurf „flach und einfach“ halten. Ähnliches hatte er bereits bei der Donauuniversität in Krems erfolgreich realisiert. Dort wurden die Volumina in eine Kammstruktur gegossen, die übersichtlich ist und niedrige Trakthöhen erlaubt. In Klagenfurt ging man noch einen Schritt weiter und fand mit einer neuartigen orthogonalen Gewebestruktur, die sich von Norden nach Süden sukzessive um immer kleiner werdende Innenhöfe verdichtet, ein flexibles und überaus effizientes Modell für die Organisation vieler und verschiedenartiger Volumina. Denn es sollten neben den Bettenstationen auch Ambulanzen, OP-Bereiche und Administrationsflächen übersichtlich untergebracht und sowohl mit alten Gebäuden des Krankenhausareals auch mit einem großen Ver- und Entsorgungsgebäude verbunden werden – alles zusammen ergab das nicht weniger als 128.000 m2 Bruttogeschoßfläche. Die Teilung des Komplexes in je einen Bau für das Versorgungszentrum und einen für das Chirurgisch-medizinische Zentrum lag nahe, die Gliederung des Letzteren war eine wahrhaft kreative Leistung. Leitlinie war die Einbettung in eine weitläufige Parklandschaft und die Herstellung einer Art „Hotelcharakter“ statt der traditionellen, aber bedrückenden Krankenhausatmosphäre. Der erforderliche Platz dafür stand nach der Verlegung des Glanbaches zur Verfügung, der das bestandsfreie Erweiterungsareal mittig durchschnitten hatte. Er bildet nun in einem großen Bogen die Nordgrenze des Areals, auf dem die vier dreigeschossigen Kammtrakte (plus Vordach beim Haupteingang, das die Größe eines ganzen Traktes erreicht) langsam in eine sanfte Auenlandschaft einwachsen sollen. Nach Westen hin kann noch ein fünfter Trakt angebaut werden. Dieses Konzept fand die Zustimmung der Jury, der sonst nur stark verdichtete Modelle, oft mit großem Sockel und darauf aufgesetzter Hochhausscheibe, vorlagen.
Passerellen im Park
Die auffallendsten Züge des neuen Komplexes sind zweifellos die „Finger“ der Bettenstationen, die sich aus dem Rückgrat des OP-Traktes Richtung Norden in den Park erstrecken. Die gleichzeitig kompakte und offene Gesamtstruktur wurzelt in einem starken Doppelriegel in Ost-West-Orientierung: Hier sind die Notfallambulanz und die Operationssäle im südlichen sowie die Ambulanzen, OP-Vorbereitung und Arztbüros im nördlichen der beiden parallelen Riegel untergebracht. Dazwischen gibt es einige Innenhöfe, die attraktiv bepflanzt und mitunter sogar kreativ mit Glassteinen gestaltet sind (Planung: idealice - Alice Größinger). Die Betten- und Intensivstationen, die in den vier Nord-Süd-Trakten untergebracht sind, können aus diesen zentralen Bereichen bequem erreicht werden. Die Intensivstationen sind offene Räume mit Glasteilungen, die fast die gesamte Trakttiefe einnehmen – an der Ostfassade können sie durch einen Korridor passiert werden. Die Bettenstationen hingegen sind in traditioneller Mittelflurerschließung mit zentralen Stations-Dienststellen organisiert, es gibt durchgehend nur Ein- und Zweibettzimmer, wobei die allgemeine Klasse im ersten und die Sonderklasse im zweiten Obergeschoß liegt. Am nördlichen Ende öffnen sich diese Trakte zunächst in einen Aufenthaltsraum und von diesem auf eine Terrasse – von dort aus geht es schließlich auf die attraktiven Passerellen, dem mediterran-konstruktiven Markenzeichen von Dietmar Feichtinger. Die schönen und leichten Stahlkonstruktionen verbinden die Trakte mit ihrer „Fluchtwegfunktion“ zu einer Großform, gewährleisten aber gleichzeitig den ungehinderten Raumfluss vom Umraum in die gartenartigen offenen Höfe zwischen den „Fingern“. Die Übersichtlichkeit und Eleganz dieses Systems erfüllt den versprochenen Hotelcharakter tatsächlich.
Zwei Magistralen
Die Bettentrakte werden quer von einer jener beiden „Magistralen“ durchschnitten, die zu den überzeugenden Ur-Ideen des Wettbewerbsentwurfs zählen. In übersichtliche Raumfolgen sind Mega-Kubaturen nämlich nur durch einfache und klare Wegführungen zu bringen, ein Grunderfordernis der hier angestrebten und definitiv erreichten Nutzerfreundlichkeit. Die Planer erfanden dafür zwei „Magistralen“, einen „Weg der Patienten“ und einen „Weg der Besucher“. Der Letztere führt von der zentralen, mehrgeschossigen Eingangshalle an der Südostecke des Zentrums auf allen Ebenen quer durch die Bettentrakte, wodurch sich weitere Innenhöfe bilden. Und der Patientenweg verläuft parallel dazu entlang der Nordseite des Ambulanz- und OP-Traktes. Zusätzlich zu dieser eindeutigen Teilung der Sphären gibt es ein farbliches Konzept, das erstaunlicherweise durchgehalten wurde und durch seine Einfachheit besticht: Gelb steht für Untersuchungs-, Blau für Pflegebereiche, Grün für die Operationssäle und Grau für allgemeine Zonen. Diese Farben beschränken sich auf die Böden und dienen damit auch als Leitsystem.
Perfekte Integration
Naturgemäß verfügt ein derartiger Komplex über eine Vielzahl von speziellen Räumen, deren Beschreibung wohl ein Buch füllen würde. In den öffentlichen Bereichen beeindrucken vor allem der Vorplatz mit seinem grandiosen Dach, die Eingangshalle mit ihrer großzügigen Raumhöhe und der Cafeteria auf der Galerie, die Kapelle mit ihrer eleganten Täfelung und der interkonfessionelle Andachtsraum mit seiner Schieferwand, in deren Ritzen man Wunschzettel stecken kann. Der gesamte Charakter der Anlage atmet mediterranes Flair, die Anthrazit-Fassaden, die Stahlpasserellen, die Glasflächen und die gelben Außenbeschattungen entfalten ein subtiles Spiel minimalistischer Gestaltungsmittel. Mit der inneren Durchlässigkeit der Anlage und ihrer Anbindung an die Kernstadt durch eine Achse zwischen medizinischem Zentrum und Ver- und Entsorgungsgebäude ist eine ganz selbstverständlich wirkende Integration eines Großkomplexes in einen parkartigen Stadtkörper geglückt, die für Österreich zweifellos singulär ist.
Zum Wettbewerbsprojekt
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